Die Erfindung von Wahrheit

Prof. Dr. Thomas Strässle, Deutsches Seminar / Seminar für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, UZH

Die aktuelle Debatte über Fakes operiert ganz selbstverständlich mit dem Gegensatz von Fake versus Fakt. Was Fake ist, vergeht sich an den Fakten, und was als Fake entlarvt werden soll, muss daher auf seine Faktizität hin überprüft werden. Daran ist nichts falsch, aber es ist auch nur die halbe Wahrheit. Denn der Fake lässt sich nicht nur in seinem Gegensatz zum Faktischen betrachten, sondern auch in Hinsicht auf Fiktion. Jeder Fake ist eine Form von Fiktion oder hat zumindest Anteil am Fiktiven. Umgekehrt gilt dieser Satz aber nicht: Nicht jede Fiktion ist auch eine Form von Fake. Es gibt viele Formen der Fiktion (Märchen, Fabeln, Fantastik usw.), die keinerlei Anspruch erheben, als faktisch zu gelten, wie der Fake es immer tut. Und das heisst: Der Fake kann auch als eine Untergattung der Fiktion verstanden werden, als eine spezifische Ausprägung von Fiktionalität. Es fragt sich nur, wie sich diese beschreiben lässt und was dies für den Fake bedeutet – für den Fake als Form von Fiktion, wie sie für die Gegenwart politisch äusserst brisant geworden ist.